Rechtlicher Rahmen der Richtlinien

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Bei den medizin-ethischen Richtlinien der SAMW handelt es sich um berufsethische Normen. Viele SAMW-Richtlinien betreffen Themen, die Grundrechte tangieren. Die Bereitstellung dieser Normen durch eine privatrechtliche Stiftung wirft Fragen zum rechtlichen Rahmen und zur Legitimation der Richtlinien auf. Ein 2024 im Auftrag der SAMW publiziertes Rechtsgutachten beschreibt die Rolle der SAMW sowie die rechtliche Einordnung und Bedeutung der Richtlinien.

Im Kontext gesellschaftlich kontrovers diskutierter Themen wie assistierter Suizid, medizinische Zwangsmassnahmen oder Triage-Entscheide bei Ressourcenknappheit ist die Frage des rechtlichen Status und der Legitimität von SAMW-Richtlinien zentral. Klar ist: Die SAMW-Richtlinien sind rechtlich nicht bindend, es kommt ihnen aber eine hohe praktische und konzeptuelle Bedeutung zu. Wenn die Richtlinien in die Standesordnung der FMH integriert werden, sind sie für FMH-Mitglieder standes- bzw. vereinsrechtlich verbindlich.

 

 

Rechtsstellung der SAMW

Die SAMW ist eine vom Bund subventionierte private Stiftung. Sie gehört zu den in Art. 4 des Bundesgesetzes über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) genannten Institutionen der Forschungsförderung. Zwischen dem Bund und den Akademien der Wissenschaften Schweiz besteht eine Leistungsvereinbarung, die u. a. die Erstellung medizin-ethischer Richtlinien als Leistungsziel nennt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Aufgabe, die der Bund an die SAMW delegiert, sondern die SAMW setzt sich diese Aufgabe selber. Rechtlich und organisatorisch steht die SAMW ausserhalb der Bundesverwaltung und bestimmt ihre Aufgaben in wissenschaftlicher Selbstverwaltung. Als privatrechtliche Stiftung entscheidet sie im Einklang mit ihrem Stiftungszweck selber über die behandelten Themen, ihre Struktur, die Besetzung ihrer Organe und ihre Verfahren.

 

 

Rechtliche Geltung und Bedeutung der Richtlinien

Die SAMW hat keinen gesetzlichen Auftrag zur Erarbeitung von Richtlinien. Die von ihr herausgegebenen Richtlinien sind Regelungen einer privaten Organisation und bieten fachlich-ethische Empfehlungen für die Praxis. Den Richtlinien kommt keine direkte rechtliche Bindungswirkung zu. Dennoch beeinflussen sie als breit akzeptierte und bewährte fachliche Empfehlungen das staatliche Recht auf verschiedene Weise. Sie werden von Behörden und Gerichten zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und zur Eruierung der Regeln der ärztlichen Kunst (lex artis) beigezogen. Indem sie in die Rechtsgenese und Verwaltungspraxis einfliessen und in der Rechtsprechung berücksichtigt werden, prägen sie das rechtliche Verständnis von medizinischen und ethischen Begriffen.

 

Die hohe Anerkennung der SAMW-Richtlinien beruht auf ihrer fachlichen Fundierung. Ihre Legitimation ergibt sich aus der Expertise der in die Ausarbeitung involvierten Fachpersonen und Berufsgruppen und aus ihrer Unabhängigkeit. Beides sind zentrale Werte der SAMW, die im Leitbild verankert sind.

 

Der aufwändige Erarbeitungs- und Qualitätssicherungsprozess von Richtlinien enthält viele Elemente eines staatlichen Rechtsetzungsverfahrens, z B. die dreimonatige öffentliche Vernehmlassung. Dies ersetzt aber nicht die fehlende demokratische Legitimität der an der Erstellung der Richtlinien beteiligten Personen. Es ist und bleibt die Aufgabe des staatlichen, demokratisch legitimierten Gesetzgebers, zentrale Fragen von Leben und Tod zu regeln. Dies steht einer praxisnahen Ausgestaltung in Form von medizin-ethischen Richtlinien durch die SAMW jedoch nicht entgegen.

 

 

Rechtsgutachten

Hinweise zur Erarbeitung des Gutachtens

Das Gutachten wurde von Prof. Dr. iur. Franziska Sprecher, RA, Bern, erarbeitet auf Anregung der Zentralen Ethikkommission (ZEK) und im Auftrag des SAMW-Vorstands. Als Co-Leiterin des vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten interdisziplinären Forschungsprojekts «Governing by Values? On the history of medical and bioethics in Switzerland», das auch die Rolle der SAMW und ihrer Richtlinien beleuchtet, war die Mandatnehmerin bestens mit der Thematik vertraut. Während der Arbeiten am vorliegenden Gutachten fand ein Austausch mit einer von der SAMW eingesetzten Begleitgruppe statt.

 

Mitglieder der Begleitgruppe

Prof. Paul Hoff, Zollikon, Präsident ZEK, Leitung

Sibylle Ackermann, Bern, SAMW, ex officio

Susanne Brauer, PhD, Zürich, Mitglied ZEK, Ethik

Prof. Mio Filipovic, St. Gallen, Vorstandsmitglied SAMW, Medizin

Prof. Thomas Gächter, Zürich, Recht

Dr. Damian König, Sion, Mitglied ZEK, Recht

 

 

Staatsanwaltschaft des Kantons Bern verweist auf Gutachten

Das Kapitel zur Suizidhilfe in den medizin-ethischen Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» löst auch in der jüngsten Fassung vom Mai 2022 immer wieder kontroverse Diskussionen aus.

 

Am 23. November 2023 wurde eine Strafanzeige gegen die SAMW und die FMH eingereicht, in der behauptet wurde, dass dieser Abschnitt der Richtlinien Ärztinnen und Ärzte in ein Dilemma bringen würde: Entweder müssten sie in bestimmten Fällen gegen ihr Gewissen handeln und keine Suizidhilfe leisten oder den Ausschluss aus der FMH riskieren.

 

Diese Vorwürfe hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern in ihrer Verfügung vom 19. August 2024 klar zurückgewiesen. Die Seiten 1 bis 10 der Verfügung geben die Inhalte der Anzeige wieder und auf den Seiten 10 bis 19 begründet die Staatsanwaltschaft, warum die Aussagen der Richtlinien rechtens sind. Sie verweist dabei mehrfach auf das Gutachten von Prof. Sprecher vom Juli 2024. Schliesslich weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass betroffene FMH-Mitglieder auf dem Zivilweg gegen die Ärztekammer vorgehen könnten, sollten sie aufgrund der Ausübung von Suizidhilfe tatsächlich sanktioniert werden.

 

KONTAKT

lic. theol., Dipl.-Biol. Sibylle Ackermann
Leiterin Ressort Ethik
Tel. +41 31 306 92 73