Die Ausschaffung von Personen mit rechtskräftigem Wegweisungsentscheid und die damit zusammenhängende Weitergabe von medizinischen Daten ist seit Jahren ein Thema für die Zentrale Ethikkommission (ZEK) der SAMW. Der Wunsch der Behörden nach einer effizienten Durchführung der Ausschaffung darf die medizin-ethischen Verpflichtungen der Ärztinnen und Ärzte, insbesondere bezüglich Berufsgeheimnis, nicht untergraben.
Aufgrund der gesetzlichen Änderungen, die im Mai 2022 in Kraft gesetzt wurden, liegt die Verantwortlichkeit für den Entscheid der Transportfähigkeit neu ausdrücklich und ausschliesslich bei der vom Staatssekretariat für Migration (SEM) beauftragten Arztperson und nicht bei der oder dem behandelnden Gefängnisarzt bzw. -ärztin. Es dürfen nur medizinische Daten weitergegeben werden, die für den Vollzug der Ausweisung wirklich notwendig sind. Die Weitergabe erfolgt also von Arzt zu Ärztin, nicht an die Behörden.
Neues Formular für den ärztlichen Bericht
Eine Arbeitsgruppe mit Vertretungen der Ärzteschaft und der Behörden hat ein neues Formular erarbeitet für die Übermittlung der relevanten medizinischen Daten. Das Formular dient künftig allen Ärztinnen und Ärzten, die Personen mit rechtskräftigem Wegweisungsentscheid (unter anderem Ausschaffungshaft) medizinisch betreuen und die mit einer behördlichen Anfrage, medizinische Daten zur Beurteilung der Transportfähigkeit weiterzugeben, konfrontiert sind.
Das neue Formular wird seit Oktober 2023 für Personen angewendet, deren Rückkehr/Wegweisungsvollzug in die Zuständigkeit des Kantons Solothurn, Thurgau oder Waadt fällt. Diese Kantone stellten sich für eine begleitete Pilotphase zur Verfügung. Die schweizweite Einführung dieses Dokuments ist ab Herbst 2025 vorgesehen und wird dann überall die Vorgängerversionen ersetzen.
Die Ärzteschaft wurde mit einem Artikel in der Schweizerischen Ärztezeitung (SÄZ) vorinformiert und wird erneut informiert werden über die schweizweite Einführung des neuen Formulars.
Wahrung des Arztgeheimnis
Bei der Weitergabe medizinischer Daten der auszuschaffenden Personen soll das Arztgeheimnis respektiert werden. Idealerweise liegt die Einwilligung zur Datenweitergabe vor. Falls sie verweigert wird, ist trotz der neuen Gesetzes- und Verordnungsbestimmung dringend empfohlen, die Entbindung vom Arztgeheimnis durch die vorgesetzte Behörde einzuholen.
Ein gemeinsam von der SAMW, der FMH und der Konferenz der Schweizer Gefängnisärzte (KSG) in der Schweizerischen Ärztezeitung (SÄZ) veröffentlichter Artikel gibt einen Überblick über diese Änderungen und das konkrete Vorgehen.
Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ): Patientendaten im Wegweisungsvollzug (22.06.2022)
Liste der Kontraindikationen
Um zu beurteilen, ob Kontraindikationen vorliegen, steht Gefängnisärztinnen und -ärzten die vom SEM publizierte Liste «Medizinische Kontraindikationen für zwangsweise Rückführungen auf dem Luftweg» zur Verfügung (Download unten). Das Dokument fasst die wichtigsten für Flugreisen relevanten Diagnosen zusammen.
Allfällige Kontraindikationen werden mittels Formular «Ärztlicher Bericht im Rückkehrbereich/Wegweisungsvollzug» (vgl. oben) übermittelt werden. Das Formular steht auf der SAMW-Website auch auf englisch und französisch zur Verfügung.
Der (Gefängnis-)Arzt bzw. die (Gefängnis-)Ärztin darf die Informationen zu Kontraindikationen nur weiterleiten, wenn die Einwilligung der betroffenen Person vorliegt. Wird die Entbindung vom Arztgeheimnis verweigert, obwohl Kontraindikationen vorliegen, kann die vorgesetzte Behörde den Arzt auf Gesuch hin vom Arztgeheimnis entbinden. Das Prozedere wird im Anhang G der SAMW-Richtlinien «Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen» beschrieben.
Zwei Rollen der Ärzteschaft
Ärztinnen und Ärzte, die zwangsweise Rückführungen von Personen begleiten und deren Reisefähigkeit beurteilen, übernehmen eine Expertenfunktion. Eine andere Rolle haben sie bei der medizinischen Betreuung von Patienten in Ausschaffungshaft: Im Hinblick auf eine geplante Zwangsrückführung stellen sie allfällige Kontraindikationen fest, die einer Rückführung entgegenstehen. Sie sind aber nicht zuständig für die Beurteilung der Transportfähigkeit.
Zu diesen zwei Rollen bzw. zu möglichen Loyalitätskonflikten von Gefängnisärztinnen und -ärzten äusserte sich die Zentrale Ethikkommission ZEK bereits in ihrer Stellungnahme 2013. Die in dieser Stellungnahme formulierten Forderungen und Anliegen behalten im Wesentlichen trotz der Änderungen der Rechtslage im Jahr 2022 ihre Gültigkeit.