Wie beim Klimaschutz realisieren wir alle, dass sich etwas Grundlegendes verändern muss. Zur Veranschaulichung reicht der Vergleich der eigenen Krankenversicherungsprämie heute mit jener vor zehn Jahren. Der Kostenanstieg kann nicht so weitergehen. Leider ist die Datenlage im Gesundheitswesen aber noch zu ungenügend, um zu wissen, wo genau wir ansetzen müssen. Ein auf Daten basierendes Konzept wie beim Klimaschutz, wo etwa fossile durch erneuerbare Energie ersetzt werden kann, existiert im Gesundheitswesen noch nicht.
Wir brauchen wissenschaftlich fundierte Daten, die uns als Gesellschaft erlauben, über nötige Veränderungen zu diskutieren. Die von der SAMW geführte «Swiss Personalized Health»-Initiative unterstützt die Entwicklung einer Infrastruktur, um in der Schweiz den landesweiten Austausch gesundheitsrelevanter Daten für die Forschung zu ermöglichen. Das ist ein zentraler Beitrag an eine datengestützte Weiterentwicklung der Medizin und des Gesundheitssystems.
Auch unser Förderprogramm «Young Talents in Clinical Research» ist als Beitrag an ein nachhaltiges Gesundheitssystem zu verstehen, weil wir damit gut ausgebildeten Nachwuchs in der klinischen Forschung sichern. Die beste Infrastruktur nützt nichts, wenn die personellen Ressourcen fehlen.
Eine weitere Initiative, die von der SAMW unterstützt wird, läuft unter dem Titel «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland». Die von Fachgesellschaften vorgelegten «Top-5»-Listen zu unnötigen medizinischen Behandlungen sind sehr wichtig. Nicht wegen der vorerst kleinen Einsparungen, die sie bringen, sondern für eine neue Denkweise. «Mehr ist nicht immer ein Plus. Gemeinsam entscheiden» – so heisst die Kampagne, mit der «smarter medicine» seit Herbst 2018 Patientinnen und Patienten für das Thema sensibilisiert. Anstatt zu fragen, was zusätzlich gemacht werden kann, geht es darum zu überlegen, was bei gleicher Behandlungsqualität weggelassen werden könnte.
Gemeinsam entscheiden heisst in der Medizin, dass Patientinnen und Patienten nicht nur in eine Behandlung einwilligen, sondern Alternativen kennen, einen Behandlungsplan mit entwickeln. «Autonomie» und «Urteilsfähigkeit» sind die Schlagworte dazu. Mit der Autonomie jeder und jedes Einzelnen einerseits und einem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen andererseits stehen wir vor dem nächsten Spannungsfeld, das unsere Gesellschaft herausfordert. Das System sollte eine soziale Investition sein, ist jedoch zu einer Belastung geworden. Ich bin überzeugt, dass wir solche Herausforderungen im engen Dialog mit der Bevölkerung angehen müssen.
Die SAMW hat im Herbst 2018 am «Salon Planète Santé» in Genf positive Erfahrungen gemacht und gelernt, dass auf klar formulierte Fragen differenzierte Antworten folgen. Bei der Diskussion über künstliche Intelligenz war im Publikum zu Beginn eine deutliche Skepsis gegenüber Robotern in der Pflege zu spüren. Das gleiche Publikum würde solche Geräte aber sofort akzeptieren, wenn sie im Krankheitsfall oder hohen Alter ein längeres Verweilen zu Hause ermöglichen könnten. Das war ein Aha-Erlebnis für beide Seiten. Wer weiss, welche Aha-Erlebnisse Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, bei der Lektüre unseres Jahresberichts haben werden. Dass dieser ausschliesslich online und nicht gedruckt erscheint, ist immerhin ein winziger Beitrag in Sachen Nachhaltigkeit.
Daniel Scheidegger,
Präsident SAMW